Die Auswirkungen der Mehrwertsteuersenkung auf Deutschlands Kosmetik-, Elektronik- und Freizeitbranchen

Die Auswirkungen der Mehrwertsteuersenkung auf Deutschlands Kosmetik-, Elektronik- und Freizeitbranchen

01/07/2020
Lesezeit: 8 Min.

Heute, am 1. Juli, tritt in Deutschland ein erstes Element des von der Bundesregierung beschlossenen Konjunkturpakets in Kraft. Bis Ende des Jahres wird die Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent, der ermäßigte Steuersatz für Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs von 7 auf 5 Prozent gesenkt. Unsere Analysten erläutern, wie sich dieser Beschluss auf die Kosmetik-, Elektronik- und Freizeitbranchen auswirken wird.

Gwen Osserman, Research Analyst
– Beauty & Personal Care

Seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie haben die deutschen Verbraucher nur zaghaft Ausgaben für nicht-essentielle Waren getätigt. Nun, fast zwei Monate nach der Genehmigung zur Wiedereröffnung des Einzelhandels, zeigen sich die deutschen Kosmetikkäufer weiterhin sparsam. So rechnen knapp vier von fünf Verbrauchern damit, ihre Ausgaben für Kosmetikprodukte im nächsten Monat zu drosseln.

Mithilfe diverser Sonderangebote haben Kosmetikmarken versucht, die Verbraucher verstärkt zum Online-Shopping zu ermuntern. Das Ausgabenniveau liegt dennoch tiefer als noch vor dem Lockdown. Eine Begründung hierfür sind die generell niedrigen Online-Umsätze im deutschen Kosmetikbereich. Drogeriemärkte werden daher weiterhin die Oberhand behalten, wobei die Mehrwertsteuersenkung ihnen einen weiteren Vorsprung geben dürfte.

Kaufhäuser und das Prestigesegment sind von der Schließung des Einzelhandels und der steigenden Preissensibilität für Produktkategorien wie Make-up und Parfüm am härtesten betroffen. Anders als bei Preisnachlässen verlieren die Unternehmen durch die Mehrwertsteuersenkung jedoch keine Einnahmen, da stattdessen die Regierung die Last schultert.

Mintel geht davon aus, dass die deutschen Kosmetikverbraucher erst im nächsten Quartal zu ihrem regulären Einkaufsverhalten zurückfinden werden. Bis dahin könnten durch die Regierungsmaßnahme gesunkenen Warenpreise einen Einkommenseffekt hervorrufen, der wiederum mehr Raum für zusätzliche Ausgaben schafft.

Der Überdruss des Zuhausebleibens wird die Verbrauchern wohl noch einige Zeit begleiten, sodass Beauty-Rituale nicht mehr als Verwöhnerlebnis für die eigenen Wände empfunden werden, sondern vielmehr zu einer Art „Akt zur Selbsterhaltung“ mutieren. Wenngleich die Mehrwertsteuersenkung nicht stark genug sein mag, um die Größenordnungen innerhalb der Kosmetikbranche zu kippen, bietet sie den Unternehmen die Chance, sich im Hinblick auf die drohende Rezession neu aufzustellen und auf mittelfristige Strategien zu konzentrieren.

 

Jan Urbanek, Research Analyst
– Consumer Technology

Unter dem Gesichtspunkt, dass der Kauf von Technikgeräten stark einkommensabhängig ist, haben COVID-19 und der wirtschaftliche
Abschwung den Markt für Verbraucherelektronik zweifelsfrei stark beeinträchtigt. Einer Mintel-Umfrage zufolge plant über ein Fünftel der Deutschen in den kommenden Monaten weniger für Technik und Kommunikation auszugeben. Wichtigste Zielgruppe sind junge Verbraucher, die durch Kurzarbeit, Einkommensausfälle und der ungewissen Zukunftsaussicht jedoch besonders stark von der Krise betroffen sind. Infolgedessen werden sie größere Anschaffungen nur recht vorsichtig tätigen, da sie in der Regel noch über keine größeren finanziellen Puffer verfügen, auf die sie im Notfall zurückgreifen können.

Höchstwahrscheinlich geben die meisten Hersteller und Händler die Mehrwertsteuersenkung von 3 Prozent an den Verbraucher weiter. Allerdings wird dieser Rabatt überwiegend diejenigen ansprechen, die bereits eine Anschaffung geplant haben. Weitere Preisnachlässe weit unter dem Steuerrabatt sind auch in der Textil-, Automobil- und natürlich auch in der Elektroindustrie vorgesehen, was manch einen Konsumenten zur Schnäppchenjagd verleiten dürfte. Bereits vor dem Inkrafttreten der von der Bundesregierung beschlossenen Steuersenkungsmaßnahme konnten Samsung-Kunden im Rahmen der „Galaxy Week“ bei Saturn und MediaMarkt hohe Vergünstigungen auf Smartphones, Wearables und Zubehör erhalten. Im Vergleich zu großen populären Verkaufsevents wie dem Black Friday, der für gewöhnlich mit noch höheren Preisnachlässen lockt, werden Verbraucher die Steuersenkung wahrscheinlich weniger ansprechend finden. Gegen Jahresende könnte das hingegen anders aussehen: Um während der Weihnachtszeit und noch vor dem Auslaufen der Konjunkturmaßnahme von dem Angebot Gebrauch zu machen, wird sich die Mehrwertsteuersenkung während dieser Zeit sicherlich als verlockend erweisen.

Besonders im Smartphone-Bereich dürfte der aus der Steuersenkung resultierende Rabatt keinen sonderlichen Einfluss auf die Nachfrage haben – sorgten die steigenden Gerätepreise in diesem Segment doch bereits vor der Pandemie für eine nachlassende Nachfrage. Die von Samsung anfangs Juni gelaunchte „Galaxy Week“ bei Saturn und MediaMarkt war eine notwendige Maßnahme, um den Impuls für neue Einkäufe zu setzen und den potenziellen Wechsel zur billigeren Konkurrenz zu vermeiden. Mehr Rabatte und Verkaufsaktionen sind allerdings vonnöten, wenn Unternehmen den Umsatz in naher Zukunft wieder stärker ankurbeln wollen.

Obwohl der Online-Kanal der wichtigste Verkaufskanal von Elektrogeräten ist, bleibt der stationäre Handel ein wichtiger Bestandteil des Kaufprozesses: Vor allem bei Großartikeln wollen die Verbraucher das Produkt vor dem Kauf sehen und begutachten. Während die gelockerten Distanzierungsmaßnahmen und die Wiederaufnahme des öffentlichen Lebens einen mildernden Effekt auf die wahrgenommene Infektionsgefahr haben werden, versuchen viele Deutsche derweil immer noch, ihre Aufenthaltszeit in Geschäften zu begrenzen. Spürbare Rabatte und Sonderangebote, aber auch ein risikofreies und angenehmes Einkaufserlebnis werden der Schlüssel zur Wiederbelebung des Markts für Verbraucherelektronik sein.

 

Dr. Christina Wessels, Research Analyst
– Household & Leisure

Geschlossene Theater, Kinos und Konzertsäle und gestoppte Filmproduktionen: Die Kultur- und Freizeitbranche ist eine der am stärksten betroffenen Branchen von der Corona-Krise. 

Mit Beginn des Inkrafttretens der bundesweiten Leitlinien zur Reduzierung sozialer Kontakte Ende März und der damit einhergegangenen Schließung von Kultur- und Freizeiteinrichtungen sind die Einnahmen in der Kultur- und Freizeitbranche beispiellos weggebrochen.

Dank der fortgesetzten Lockerungen der Corona-Maßnahmen Ende Mai konnten Kultur- und Freizeiteinrichtungen unter Einhaltung strenger Hygieneregeln theoretisch wieder öffnen. Während beispielsweise einige wenige Theater mit einer pandemiekompatiblen Spielplanumsetzung tatsächlich wieder öffneten (z. B. Schauspiel Bochum, Frankfurter Schauspiel),  bleibt eine Vielzahl von Theatern trotzdem geschlossen und nicht wenige befinden sich weiterhin im digitalen Exil.

Dass viele Theater wie das Kommödchen in Düsseldorf bis Herbst 2020 ihre Türen nicht öffnen werden, wird auch das vom Bund Anfang Juni verabschiedete Maßnahmenpaket zur Rettung der Kulturbranche und der darin enthaltenen Mehrwertsteuersenkung nur marginal ändern können.

In der Kultur- und Freizeitbranche fallen unter den regulär ermäßigten  Steuersatz von 7 Prozent Eintrittskarten für Theater, Orchester, Konzerte, Museen, Zirkusse und Schwimmbäder sowie für Kinos; für Vergnügungsparks gilt indessen die Mehrwertsteuer von 19 Prozent. 

Für viele Theater und Konzertsäle ist es schlichtweg nicht rentabel, mit minimaler Auslastung und den strikten Hygienebestimmungen den Spielbetrieb zu öffnen. Ähnlich prekär sieht die Lage für Kinos aus, denn auch hier erweist es sich als schwierig, unter Einhaltung der Hygieneregeln kostendeckend zu wirtschaften.

Wenngleich für den Bereich „Freizeit, Unterhaltung und Kultur“ durch das Herabsetzen der Mehrwertsteuer Preissenkungen von durchschnittlich 2,3 Prozent vom Statistischen Bundesamt erwartet werden, wird das Ankurbeln der deutschen Wirtschaft durch die Mehrwertsteuersenkung in der Kultur- und Freizeitbranche eher schwierig.

Nicht nur die fortwährenden Schließungen vieler Freizeit- und Kultureinrichtungen oder die Absage von großen Kulturevents wie beispielsweise der Ruhrtriennale torpedieren das Wiederbeleben der deutschen Wirtschaft. Viele Theater können einen schnelle und unbürokratische Umsetzung der Mehrwertsteuersenkung nicht gewährleisten, da z. B. Systeme  aufgrund des hohen bürokratischen Mehraufwands nicht dazu ausgelegt sind, Karten für Oktober bereits verkauft wurden oder die Preise längst festgesetzt worden sind. Eine Rückerstattung der zu viel gezahlten Mehrwertsteuer ist daher für viele mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden. Das bedeutet, dass die Preissenkungen nicht einfach an die Konsumenten weitergegeben werden können.

Gleichermaßen stellt die mangelnde Konsumlaune der deutschen Verbraucher im Bereich Freizeit, Unterhaltung und Kultur die Branche weiterhin vor eine große Herausforderung.

Vor der Corona-Pandemie haben deutsche Konsumenten im Jahr 2018 durchschnittlich 304 Euro für Freizeit, Unterhaltung und Kultur ausgegeben. Das entspricht einem Anteil von 11 Prozent an den gesamten Konsumausgaben. Dabei wurde mit rund 88 Euro monatlich der größte Anteil für Freizeit- und Kulturdienstleistungen ausgegeben.

Allerdings sind aktuell nur wenige Deutsche bereit, Freizeitausgaben zu tätigen: Zwei von fünf deutschen Verbrauchern geben an, im nächsten Monat weniger für Freizeit und Unterhaltung ausgeben zu wollen und ein Drittel hat seit Beginn des COVID-19-Ausbruchs die Ausgaben für nicht-essentielle Produkte und Dienstleistungen reduziert.

Die Mehrwertsteuersenkung klingt zwar auf den ersten Blick nach einer plausiblen ökonomischen Maßnahme, verliert allerdings auf den zweiten Blick zumindest in der Kultur- und Freizeitbranche an Strahlkraft. Fortlaufende Schließungen von Einrichtungen, bürokratischer Mehraufwand und eine geringe Konsumbereitschaft obstruieren das erhoffte Ankurbeln der deutschen Wirtschaft.

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